Störangeln am Fraser-River

Autor: Matthias Westerweg
Ziel: Kanada, British-Columbia

Nein, es sollte nicht zum Lachsangeln gehen, Lachse wurden nur zur Aufbesserung der Hausmannskost geangelt. Zielfisch unserer Reise war der Weisse Stör, der hier gigantische Größen und Gewichte erreichen kann.

Diese Fische stehen hier in Kanada seit fast 100 Jahren unter Naturschutz und dürfen nur unter Einhaltung strengster Regeln beangelt werden. Die Kanadier haben erkannt, dass sich der Fang von Fischen nicht automatisch mit dem Naturschutz „beissen“ muss. Das gleiche gilt z.B. auch für den Fang von Marlinen, Sailfischen oder Haien in den allermeisten Gebieten die ich kenne. Catch and Release ist meistens problemlos möglich und sogar erwünscht – wenn man sich an die Auflagen hält! Diese Regeln sind recht einfach: Jeder Angler darf nur mit einer Rute fischen. Es ist nur das Angeln mit Einzelhaken ohne Widerhaken gestattet. Gefangene Fische werden ausnahmslos ins Gewässer zurückgesetzt. Schwanzschlingen oder Gaffs sind verboten. Einzig die Handlandung OHNE Hilfsmittel ist erlaubt. Große Fische sollen im seichten Uferbereich „gestrandet“ werden. Die Guides mit denen man fischt, achten genauestens auf die Einhaltung dieser Regeln. Die Fischereibehörden kontrollieren schärfstens. Bei einem Verstoß gegen Auflagen verliert der Guide seine Lizenz und die folgende Geldstrafe für Angler und Guide ist empfindlich.

Dass die Störe den Köder NIE schlucken, begünstigt natürlich auch die Möglichkeit von Catch und Release. Das Wichtigste ist natürlich, dass sich die Angler an die Regeln halten. Dass das so zu sein scheint, zeigt letztendlich das enorme Vorkommen von Stören aller Alters- und Gewichtsklassen in diesem Gewässer. Die eingenommenen Gelder durch die Lizenzen (ca. 90,-€ / Woche) werden meines Wissens auch wieder in andere Fischerei- und Umweltprojekte gesteckt.

Der größte mit einer Angel belegte Fang stammt aus dem Jahr 1985. Der Fisch brachte bei einer Länge von 4,65m geschätzte 1000Pfd auf die Waage! Die Störe wandern vom Pazifik in den Fraser River um sich dort an aufsteigenden Lachsen und Rogen dick und rund zu fressen, und pendeln so ihr Leben lang zwischen Salz- und Süßwasser hin und her. Sie erreichen dabei ein Alter von bis zu 100 Jahren.

Mitte Oktober startete unsere 23-köpfige Truppe die 10-tägige Angelreise vom Frankfurter Flughafen. Nach 10 Stunden Flug landeten wir in Vancouver an der Pazifikküste Kanadas. Nach zwei weiteren Stunden in unseren Mietwagen erreichten wir das Städtchen Chilliwack, den Ausgangsort unserer Angeltouren. Mit ein paar Bierchen und einem guten Steak liessen wir den Tag ausklingen.

Am nächsten Morgen ging es zum Fluss. Der Fraser-River ist hier, etwa 100 km von der Mündung entfernt, ein völlig naturbelassener Fluss. Untiefen und Sandbänke wechseln sich mit bis zu 20m tiefen Gumpen ab. Ein Guide mit seinem Boot betreut maximal 4 Angler, von denen jeder mit einer Rute fischen darf. Einzelhaken ohne Widerhaken sind wie gesagt Pflicht! Die Ausrüstung auf unserem Boot bestand aus 2,10m einteiligen 20lbs Shimano-Ruten, Avet-Multirollen mit 35mm geflochtener Schnur, Hakengröße 6/0 und Grundbleien zwischen 180 bis 300g. Als Köder werden frischer Lachsrogen, Köderfische oder „Stinky Bait“ verwendet. Letzteres sind im Fluss treibende tote Lachse, die aufgefischt werden. Danach müssen sie noch einmal für eine Woche in Eimern weitergammeln… Das stinkt wie die Pest, aber die Störe lieben es! Ohne guten Guide hat man hier wenig Chancen. Das Gewässer ist einfach zu riesig. Dass der Fluss hier oben, so weit vom Meer entfernt, trotzdem von Ebbe und Flut beeinflusst wird, zwingt den Guide zusätzlich, sich permanent auf die wechselnden Begebenheiten einzustellen.

Nachdem der erste Ankerplatz erreicht war, wurden die Ruten in etwa 25m Entfernung zum Boot ausgelegt. Die Bisse der Störe sind extrem vorsichtig. Der Stör saugt den Köder an und spuckt ihn wieder aus, saugt ihn an, spuckt ihn aus…

Die Kunst besteht darin, an der Rutenspitze zu erkennen, wann der Stör den Köder komplett genommen hat. Schlägst du zu früh an, hängt der Haken am Oberkiefer. Dieser ist jedoch hart wie ein Stein, so dass der Haken nicht eindringen kann! Springt der Fisch dann, oder man lässt auch nur eine Sekunde die Schnur schlaff werden, fällt der Haken heraus und der Fisch ist weg. Ein gut gehakter Fisch hat den Haken seitlich im Maulwinkel. Glaubt mir, unsereins will IMMER zu früh anschlagen!

Nach 20min kam der erste Biss. Andy sprang auf! Der Anhieb saß! Hier in der starken Strömung haben die Störe richtig Power und die Shimano bog sich gewaltig. Andy hatte aber alles im Griff und nach 10 Minuten unseren ersten Kanada-Stör mit 1,78m gelandet. Glückwunsch! Meine Frau, die mit uns auf dem Boot war, hatte ihren Ruf als Glücksbringerin mal wieder bestätigt.

Nach einem Platzwechsel kam der nächste Biss bei Maik. Nach 10 min fragte er nach einem Bauchgurt, was ihm prompt den Namen „Pussy“ einbrachte, jedoch konnte er damit dem Fisch auch viel mehr Kraft entgegensetzen. Nach weiteren 10 min hatte er den Fisch soweit. Da er zu gross war, um ihn ins Boot zu holen, fuhr der Guide zu einer Sandbank, an der wir den Fisch landen und vermessen konnten. Das Massband zeigte 2,17 m. Unser Guide Steve schätzte den Fisch auf ca. 170Pfd. Jetzt war ich dran! …ein Störlein von ca. 50cm Länge zeigte mir, dass die 2-Meter-Fische auch hier nicht gestapelt am Grund liegen. Andy schloss den Tag mit einem weiteren 1,75m Stör für alle mehr als zufriedenstellend ab.

Der nächste Tag sollte dann unvergesslich bleiben. Beim ersten Spot kam auf einen grossen Stinky-Bait ein hammerharter Biss! Beim Anschlag blieb die 2o lbs-Shimano etwa nach der Hälfte des Weges „stehen“, so als ob unten am Grund ein dicker Stein hing… Der Guide holte sofort seinen Anker ein (hatte er bis dahin noch nie gemacht) und schrie nur „Pull! Pull! Pull!“ Dieser Fisch musste etwas besonderes sein, beim gestrigen 2,17er hatte er noch locker und entspannt in seinem Sitz gesessen.

Der Fisch zog uns etwa 250 m stromaufwärts (ja, das Boot, den Guide und uns 4 mehr oder weniger dicken Angler!), dann drehte er und es ging 500 m stromab. Wir wussten vorher, dass es für einen Angler alleine fast unmöglich ist, einen richtig großen Stör auszudrillen. Aus diesem Grund hatten wir vorher ausgemacht, in so einem Fall die Rute zu übergeben. Also schnallten wir uns abwechselnd den „Pussy-Gurt“ um und drillten in 10-Minuten Intervallen abwechselnd. Selten habe ich so eine krumme Rute gesehen. Rute, Rolle, Schnur, alles war kurz vorm Zerbersten, aber der Druck schien Wirkung beim Fisch zu zeigen. Nach 70 Minuten lag er unterm Boot auf Grund, 15 m tief, rührte sich nicht mehr, und war wohl mindestens so fertig wie wir. Nach weiteren 30 Minuten hatten wir

ihn an der Oberfläche. Ein beherzter Griff ins Maul, und ja nicht mehr loslassen! Steve fuhr ans Ufer, wo wir den Stör stranden konnten. Steve stieß einen Schrei aus, als ob er alle Bären Kanadas gleichzeitig verjagen wollte. Spätestens da wussten wir, dass uns da wohl ein ganz besonderer Fang gelungen war. Das Massband zeigte 3,37 m gemessen bis in die Schwanzkerbe – die Kanadier messen die Fische so. Bis zur Schwanzspitze waren es locker 3,55 m! Nach dem Messen des Umfangs errechnete der Guide ein Gewicht von geschätzten 600 Pfd!!! Laut Steve sollte es der drittgrößte Stör der letzten 15 Jahre gewesen sein. Man gönnt sich ja sonst nichts… Auf Weiterangeln hatte niemand mehr richtig Lust, und so beendeten wir den Tag am Hafen mit ein paar richtig grossen Bieren.

Was soll ich weiter sagen? Den Rest unserer Tour fingen wir noch einige schöne Fische über 2m, insgesamt brachten wir es jedoch „nur“ auf 17 Fische. Unser „Rentnerboot“ fing in 8 Angeltagen zum Vergleich insgesamt 107 (einhundertundsieben) Störe, jedoch kam auch niemand nur annähernd an unseren „Big-Fish“ heran. Alle 23 Angler zusammen fingen in 8 Angeltagen 379 Störe.

Falls jemand auf den Geschmack gekommen ist:
Im Oktober 2016 geht es wieder zum Fraser-River nach British-Columbia!
(Dann wollen wir die 4 Meter knacken…)